Kinder haben das Recht auf Notwehr.

In Deutschland wird immer wieder darüber diskutiert, ob Kindern das Recht auf körperliche Selbstverteidigung eingeräumt werden sollte. Es ist rechtlich eindeutig geregelt. Spielraum für persönliche Interpretationen gibt es dafür eigentlich nicht. Doch leider gibt es immer wieder Menschen, die Kindern verbieten möchten, sich im Falle eine körperlichen Angriffs dagegen zur Wehr zu setzen.

I. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit

Deutschland ist ein Rechtsstaat, der die körperliche Unversehrtheit aller seiner Bürger, einschließlich Kinder, schützt. Dieses Recht ist in Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) verankert:

„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“

Dieser Artikel betont die fundamentale Bedeutung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit für jeden Einzelnen in Deutschland. Wer einem Kind verbietet, einen bereits begonnenen oder drohenden körperlichen Angriff abzuwehren, verweigert dem Kind ein Grundrecht.

II. Das Recht auf Notwehr

Das deutsche Strafrecht gewährt das Recht auf Notwehr. Dieses Recht ist in § 32 des Strafgesetzbuches (StGB) verankert:

„Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.“

Die Voraussetzungen für die Notwehr sind in § 33 StGB festgelegt:

  1. Ein rechtswidriger Angriff muss vorliegen.
  2. Die Verteidigung muss erforderlich sein, um den Angriff abzuwehren.
  3. Die Verteidigung darf nicht unverhältnismäßig sein.

Es ist wichtig zu betonen, dass das Recht auf Notwehr nicht nur für Erwachsene gilt, sondern auch für Kinder. Es spielt also keine Rolle, wie alt Opfer oder Angreifer sind. Solange die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, können Kinder, genauso wie Erwachsene, das Recht auf Notwehr geltend machen, um sich vor einem rechtswidrigen Angriff zu schützen. Und rechtswidrig ist letztlich jeder Angriff, der einem Menschen unabhängig vom Alter Schmerzen bereitet oder ihn in seiner Freiheit einschränkt.

III. Die besondere Situation von Kindern

Kinder sind besonders schutzbedürftig und können leichter Opfer von körperlichen Angriffen werden. Daher ist es umso wichtiger, ihnen das Recht auf körperliche Selbstverteidigung auf keinen Fall pauschal zu verwehren oder gar zu verbieten, um ihre körperliche Unversehrtheit zu schützen und ihnen die Entwicklung zu einem selbstbewussten Menschen zu ermöglichen.

IV. Prävention

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Kindern vermittelt wird, ihre Selbstverteidigungsfähigkeiten verantwortungsvoll einzusetzen und Gewalt nur als letztes Mittel anzuwenden. Nicht alles, was ich vielleicht gerne tun würde, darf ich tun. Kitas, Schulen, Eltern und die Gesellschaft insgesamt tragen die Verantwortung, Kinder in Konfliktbewältigung, Deeskalation und gewaltfreier Kommunikation zu schulen. Viele Aggressionen lassen sich verbal stoppen, bevor sie in eine gewaltsame Eskalation münden. Daher vermittelt „STOPP! Ich wehre mich!“ auch die richtige Verwendung der eigenen Körpersprache, um Angreifern schon im Vorfeld zu signalisieren, dass ein Angriff keine gute Idee ist. Auch Flucht kann eine gute Möglichkeit sein, sich einem Angriff zu entziehen. Doch leider ist Flucht in vielen Fällen gar nicht möglich.

Oft berichten uns Kinder in den Kursen, dass sie sich nicht wehren dürfen und einer Pausenaufsicht Bescheid sagen sollen. Tun sie es dann, wird ihnen gesagt: „Regelt das mal unter euch!“. Das ist der Bilderbuchablauf einer unpädagogischen Handlung.

V. Pädagogik

Wer Kindern verbietet, sich im Falle eines tätlichen Angriffs dagegen zu wehren, erzieht das Kind zu einem Opfer und begibt sich vermutlich auf juristisch „dünnes Eis“. Wichtig ist jedoch auch, Kindern zu vermitteln, dass eine Beleidigung keinen körperlichen Angriff darstellt und auch ein versehentliches Anrempeln etc. keinen Grund für eine körperliche Gegenwehr darstellt.

Auch sollte man Kindern stets vermitteln, wann die Notwehr beginnt und wann sie wieder beendet werden muss. Letzteres ist immer dann der Fall, wenn der Angreifer seinen Angrifft stoppt. Ein am Boden liegender oder flüchtender Angreifer stellt für mich als Opfer i.d.R. keine Gefahr mehr dar. Stoße ich also jemanden weg oder zu Boden, ist die Notwehrsituation beendet, sofern mein Angreifer den Angriff nicht wiederholt/fortsetzt.

Mindestens genauso wichtig ist es, den Kindern frühzeitig zu vermitteln, dass stets das mildeste Mittel einzusetzen ist. In den meisten Fällen reicht es schon, den Angreifer wegzustoßen.

Der Schlag mit einer Faust als Reaktion auf eine Ohrfeige stellt also mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Notwehr dar. § 33 des Strafgesetzbuches (StGB) beinhaltet letztlich aber auch:

§ 33 Überschreitung der Notwehr

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.“

VI. Fazit

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Notwehr sind grundlegende Prinzipien im deutschen Rechtssystem. Kindern diese Rechte zu verwehren, würde ihre Sicherheit gefährden und ihrem Wohl widersprechen. Es ist entscheidend, dass Kinder auch in Deutschland das Recht haben, unter Beachtung der rechtlichen Voraussetzungen (Notwehr), sich im Falle eines körperlichen Angriffs körperlich zu verteidigen. Gleichzeitig muss die Gewaltprävention, insbesondere die Erziehung zu gewaltfreiem Verhalten einen hohen Stellenwert haben, um die Entwicklung verantwortungsbewusster Menschen zu fördern.

Wer ein Kind zu einem selbstbewussten, rechtskonformen Mitmenschen erziehen möchte, der später auch ohne Hilfe durch das Leben gehen kann, sollte dem Kind frühzeitig beibringen, wann und wie es ich wehren darf und wann die Notwehr beendet werden muss. Genau das ist der Inhalt von „STOPP! Ich wehre mich!“

“Selbstverteidigung beginnt in dem Augenblick, wenn Gewaltprävention versagt hat.”
(Frank Henning, 2004)

Einen bereits begonnenen tätlichen Angriff kann man nicht durch blumige Worte oder die gern empfohlene „STOPP-Hand“ beenden. Das sind lebensfremde pädagogische Tagträumereien, die Kinder zu Opfern erziehen. Keinem angehenden Erzieher, Lehrer, Sozialpädagogen etc. wird dieses Vorgehen im Rahmen seiner Ausbildung oder seines Studiums an einer deutschen Bildungseinrichtung empfohlen. Es widerspräche dem deutschen Recht.

Jeder Erwachsene, der Kindern ein solches Verhalten empfiehlt, sollte sich Fragen ob er selbst einen Angreifer auf der Straße versuchen würde z.B. „wegzureden“ oder doch lieber wegzustoßen. Die Sinnlosigkeit ersteren Vorgehens sollte spätestens dann eigentlich jedem durchschnittlich begabten Menschen auf der Hand liegen.

Hinweis: Dieser Text stellt keine Rechtsberatung dar. Im konkreten Einzelfall wenden Sie sich bitte an einen Fachanwalt für Strafrecht. Dieser kann für den konkreten Einzelfall  eine erste Einschätzung vornehmen und das weitere Vorgehen besprechen. Den Schritt können Sie unabhängig von der Strafmündigkeit Ihres Kindes gehen. Sofern Ihr Kind von Dritten für eine aus Ihrer Sicht gegebene Notwehr sanktioniert wurde, ist ggf. auch die Konsultation eines Fachanwalts für Verwaltungsrecht empfehlenswert.

Handlungsempfehlung: Wurde Ihr Kind Opfer von Gewalt, sprechen Sie zuerst mit den Personen, die zu diesem Zeitpunkt die Aufsicht hatten und somit auch Fürsorge- und Obhutspflichtig waren. Besprechen Sie das weitere Vorgehen. Lassen Sie sich klar erklären, wie man weitere Vorfälle dieser Art für die Zukunft nach menschlichem Ermessen ausschließt. Im Fall von Verletzungen oder sexueller Belästigung, Mobbing usw. sollte auf jeden Fall die Polizei informiert werden.

Ggf. ist es ratsam, den Kontakt zu einem Fachanwalt aufzunehmen, um zivilrechtlich Schmerzensgeldansprüche oder Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Das ist unter bestimmten Umständen auch möglich, wenn die Beteiligten unter 14 Jahre alt sind. Hierzu erteilen Ihnen die Fachanwälte gerne weitere Auskünfte.

Vorteil: Das Opfer lernt, dass es sich auch mit rechtsstaatlichen Mitteln wehren kann und Täter lernen, das eine "Strafunmündigkeit" kein Freibrief ist.
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